Drachenstarke Abenteuer Kapitel 8

Ich habe schon die ganze Zeit gemerkt, dass mit Njura was nicht stimmt, aber so wirklich war ich mir nicht sicher. Wenn ich sie darauf angesprochen habe, meinte sie immer wieder, dass alles mit ihr in Ordnung sei. Geglaubt habe ich ihr das nicht.
Sobald wir auf der Insel gelandet sind, springe ich aus dem Sattel und laufe ich zu Polarlicht. Ich schaue mit besorgtem Gesicht zu ihr hoch und lege meine Hand auf ihr Bein.
„Njura?“, frage ich sie leise. Sie scheint mich gar nicht erst zu hören, dreht dann aber ihren Kopf langsam zu mir. Ihr Gesicht ist so blass, dass es den Anschein hat, als sei ihr Herz stehen geblieben. Sie lehnt sich zu mir und fällt dabei mehr aus dem Sattel, als dass sie absteigt. Ich versuche, sie aufzufangen, werde aber mit zu Boden gerissen.
„Njura? Njura!!“ Ich schreie sie fast an, voller Sorge. In meinen Augen sammeln sich schon Tränen. Ihr Umhang rutscht zur Seite und ich sehe einen großen roten Blutfleck der sich immer weiter ausbreitet. Jetzt ist es komplett vorbei. Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten und alle Trauer, Wut und Niedergeschlagenheit der letzten Stunden seit dem Angriff brechen aus mir heraus. Die Wunde sieht schlimm aus und verzweifelt versuche ich, die Blutung zu stoppen. Wie wild drücke ich meine Hände auf die Wunde und aus Njuras Kehle dringt ein gellender Schrei.
„Es … es tut mir leid“, schluchze ich. Meine Stimme ist laut und verweint. „Ich muss die Blutung stoppen. Sonst kannst du doch nicht wieder gesund werden! Wie ist das denn passiert?“ Schnell wische ich mir über mein tränenverschmiertes Gesicht. Meine Schwester darf mich nicht so sehen, erst recht jetzt nicht. Viel bringt es jedoch nicht. Sofort ist mein Gesicht wieder nass von den immer noch laufenden Tränen. Aber während ich mich weiter aufrege, wird Njura seltsamerweise ruhiger und ruhiger. Langsam frage ich mich, wie ich ihr helfen kann.
„Milyana, hör auf“, versucht sie mich zu stoppen, mit einer ruhigen und kraftlosen Stimme. „Es ist gut so...“ So sehr sie mich auch beruhigen will, es hilft nicht. Es treibt mich nur noch weiter und regt mich noch mehr auf. Und das lasse ich sie hören.
„Bist du verrückt? Ich kann nicht aufhören. Du musst wieder gesund werden!“, erwidere ich aggressiv und schnauze sie an. Sie kann und darf mich nicht verlassen. Was soll ich ohne sie machen? Wie soll ich weiterleben? Sie ist meine kleine Schwester, sie muss doch länger leben als ich! Es ist so unfair, dass sie, die bisher nicht einmal kämpfen musste, dem Tod nahe steht und ich, die sich in jedes Gefecht stürzt, das ich erwischen kann, nur mit einem blöden Kratzer davon komme! Ich würde so gern mit ihr tauschen, nur damit sie weiterleben kann.
„Mily, es ist zu spät. Ich kann nicht mehr gesund werden …“ Ihre Stimme fängt an zu zittern und ich mache mir immer größere Sorgen.
„Aber … Njura! Nein, das lasse ich nicht zu! Du MUSST wieder gesund werden, du MUSST einfach!“ Meine Tränen fließen jetzt schneller und werden mehr und mehr …
„Es geht nicht. Die Schatten reißen bereits an meiner Seele.“ Njura wird schwächer und schwächer und ihre Stimme bricht immer wieder. „Weißt du, wo wir hier sind? Das ist… Berk. Sie kämpfen gegen Drachen, sie töten sie. Vater hat… immer erzählt, dass sie so sind, wie wir waren. Du solltest… gehen und… dir ein besseres Zuhause suchen.“ Sie schaut mich mit ihren großen blauen Augen, die bereits halb hinter ihren Lidern verschwinden, an. „Du musst mich hier zurücklassen. Ich wäre dir nur ein Klotz am Bein…“
Dieser Satz schockte mich. Njura? Ein Klotz am Bein? Nie im Leben. Sie ist meine Schwester, sie ist doch kein Klotz am Bein! Das habe ich nie von ihr gedacht und das denke ich auch jetzt nicht von ihr! Am liebsten würde ich ihr dafür jetzt einen Klaps geben… "Das ist nicht wahr! Du bist kein Klotz! Und das wirst du nie sein!“ Sie hat vielleicht schon akzeptiert, dass es zu Ende geht, aber ich nicht! Ich gebe sie nicht auf, das kann ich nicht! Ich bin ohne sie verloren…
„Nimm Polarlicht mit, ja? Lass sie nicht hier…“ Ich reiße meine Augen auf vor Schreck. Ich muss ihr helfen! Sie muss weiterleben! Ich verzweifle hier. Ich will ihr helfen, muss ihr helfen und dieses Gefühl verstärkt sich noch, wenn du weißt, dass du eigentlich nichts tun kannst. Es ist grausam, die eigene Schwester sterben zu sehen, aber nichts dagegen machen zu können, so sehr ich es mir auch wünsche! Langsam schließt sie ihre Augen und meine Tränen werden stärker.
„Njura! NJURA!!“ Ich schreie sie an, in der Hoffnung, dass sie die Augen wieder öffnet, aber sie bleiben geschlossen. Immer noch verzweifelt und tränenübersät schaue ich mich um, auf der Suche nach einem Unterschlupf. Nicht weit weg entdecke ich eine Höhle. Ganz vorsichtig, als könnte ich sie zerbrechen, hebe ich meine kleine Schwester auf und trage sie in die Höhle. Windreiter soll ein wenig Stroh oder Heu oder Gras sammeln, dass ich unter sie lege, damit sie weicher liegt. Das hat sie zuhause auch immer gemocht. Sie konnte nicht schlafen, wenn ihr Bett zu hart schien. Immer musste sie noch ein paar Yakfelle unter ihr haben… Obwohl meine Tränen auf dem Weg zur Höhle versiegt sind, fließen sie bei dieser Erinnerung erneut über mein Gesicht.
Sofern Windreiter wieder zurück ist, lege ich Njura zu Polarlicht und richte das Gras so her, dass es gemütlich ist. Dann bette ich meine Schwester darauf und sofort ist ihr Drache zur Stelle.
Polarlicht legt sich direkt neben Njura und bildet mit ihrem Flügel eine Kuppel über sie, als Schutz. Sie ist genauso besorgt wie ich und legt ihren Kopf neben sie, fast so als wolle sie sie in den Arm nehmen. Windreiter hat in der Zwischenzeit einige Zweige und größere Äste gesammelt, auch wenn ich nicht weiß, warum. Naja, sobald es in der ganzen Höhle kälter wird, kann ich es mir denken. Polarlicht senkt ihre Körpertemperatur, um Njura noch ein wenig Zeit zu verschaffen und die Blutung zu verlangsamen und – vielleicht sogar– zu stoppen. Ich hoffe sehr, dass es klappt, bin aber trotzdem noch skeptisch. Immerhin hat sie seit dem Kampf nichts gesagt. Sie ist so verdammt schwach im Moment, es bricht mir das Herz. Ich stapel die Zweige und ein paar Äste so, dass sie Polarlicht mit ihrer Kälte nicht entgegenwirken und ein einziger Funke von Windreiter reicht aus, um das trockene Holz anzuzünden. Sofort wird mir wärmer. Aber trotzdem ist mir noch kalt, also wickel ich mich zusätzlich in meinen Umhang. Ich glaube, dass mir wärmer wäre, wenn Njura neben mir säße und putzmunter mit mir quatschen würde. Wann war das letzte Mal, dass wir so zusammensaßen? Nur wir beide? Ohne unsere Drachen oder sonst jemanden…
„Hey, Wind“, spreche ich meinen Drachen leise an und lehne mich an ihn. „Was meinst du, wird sie wieder gesund?“ Windreiter schaut mich an und gibt mir einen Stupser, mit dem er mir Mut machen will. „Ich weiß, du glaubst nicht daran, dass sie sterben wird, aber sieh nur, hab wie schwach sie ist. Sie ist noch nicht mal aufgewacht, als ich sie aus vollem Hals angeschrien. Ich mache mir so große Sorgen und hab mega Angst. Eigentlich kann sie das gar nicht überleben.“ Meine Stimme bricht und ich schluchze leise vor mich hin. „Erst brennt Kantia nieder, dann müssen wir durch diesen Sturm ohne irgendwelchen Schutz, ohne Ziel und jetzt steht Njura mit einem Bein im Grab. Was soll… ich… nur machen?“ Ich werde beim Sprechen immer leiser und meine Lider schwerer und schwerer. Ich kann sie nur noch ein paar Sekunden offen halten, bevor sie mir letztendlich zufallen und ich in einen unruhigen, leichten Schlaf übertrete.
Es ist dunkel in unserem Zimmer. Obwohl es mitten in der Nacht ist, sind Njura und ich hellwach. Wir schauen uns kurz an und wissen sofort, was die andere denkt, dann lassen wir ein Seil durch das Zimmerfenster hinab und rutschen leise daran herunter. Auf leisen Sohlen machen wir uns davon, zu den Drachenhöhlen. Das hatten wir in letzter Zeit häufiger getan, weil Njura mich mit ihrem Drachenwahn anzustecken scheint. Die erste Zeit hat sie sich allein davongeschlichen, bis ich die Schnauze voll hatte und mit meinem Schwert hinter ihr her bin. Ich habe sie letztendlich in einer verlassenen Höhle gefunden, von der sie das ganze – hohle, wie ich jetzt weiß – Berginnere beobachten kann, ohne selbst sofort von den Drachen gesehen zu werden. Auch wenn sie jünger ist als ich, ganz so doof ist sie doch nicht.
Die Höhle, in der wir uns verstecken, liegt am Fuß des Berges und ist nicht sehr groß. Bevor wir es uns jedoch da drin – weitestgehend – gemütlich machen, sammeln wir Reisig und Äste und etwas getrocknetes Gras, um ein kleines Feuer anzuzünden, damit wir nicht erfrieren. Wir tragen alles in die Höhle und Njura holt zwei Feuersteine heraus. Ich zünde damit das Gras an, das Njura in ihren Händen hält und sie legt es unter die Zweige. Sofern die brennen, legen wir die ersten Äste darauf. Zum Glück können die Drachen das Feuer nicht sehen, weil die Höhle eine Biegung macht, hinter der wir die angezündeten Zweige und Äste gestapelt haben. Wir hingegen sehen jeden Drachen, der in das Berginnere fliegt und es verlässt.
„Es ist schon ein paar Wochen her, seit wir das erste Mal hergekommen sind“, meint Njura leise im Flüsterton und kichert leise. „Da bist du mir hinterhergeschlichen und wolltest wissen, was ich mache. Als du dann das hier gesehen hast, wolltest du mich zurückschleppen und bist dann letztendlich doch geblieben.“
„Stimmt“, antworte ich ihr und folge einem Tödlichem Nadder mit den Augen, wie er in eine Höhle fliegt. „Und jetzt? Sitze ich hier und rede mit dir über Drachen. Das hätte ich selbst nie gedacht. Aber sie sind interessante Geschöpfe.“ Ich drücke es vorsichtig und langsam aus, weil ich immer noch skeptisch diesen Biestern gegenüber bin. Dann fällt mein Blick auf einen eisblauen Drachen, den ich nie zuvor gesehen habe. Ich stupse Njura und deute in seine Richtung. Sie dreht sich um und reißt ihre Augen auf. Ob vor Überraschung oder vor Schreck kann ich nicht sagen.
„Weißt du, was das für ein Drache ist?“, fragt sie mich gehaucht. Ihre Stimme ist aufgeregt und überschlägt sich fast, weil sie nicht lauter reden kann. „Das ist ein Schimmerndes Eis, die seltenste Rasse, die es gibt. Nur wenige haben einen gesehen und nur einer von ihnen konnte so dicht an einen heran, dass er den zeichnen konnte. Der Onkel unseres Großvaters hat ihn in das Buch der Drachen eingetragen, zumindest die Zeichnung hat er gemacht.. Wahrscheinlich sind die Glücklichen, die jemals einen gesehen haben, an einer Hand abzählbar und jetzt gehören wir dazu! Das ist fantastisch!“ Ich kann es nicht glauben, sie freut sich wie ein kleines Kind, das zum Geburtstag das bekommt, was es sich schon immer gewünscht hat. Ich habe ihre Augen noch nie so leuchten sehen. 
„Und was wissen wir über ihn?“, frage ich neugierig, bevor ich das meinem Mund verbieten kann. Na toll, jetzt bin ich schon genauso interessiert wie meine kleine Schwester. Eigentlich wollte ich die Frage gar nicht stellen, aber ich bin trotzdem froh, dass sie mir rausgerutscht ist. Solange sie unser Dorf nicht angreifen, sind die Drachen einfach irre. Njura könnte ich das aber nie beichten.
„Das Schimmernde Eis ist der seltenste aller Drachen“, erklärt Njura leise und sachlich. „Es hat zwei Arten von Feuer: brütend heiß und eiskalt. Er kann aber auch eine Art Eisatem hauchen, der Menschen erfrieren lassen kann. Seine Klauen sind messerscharf und wir sollten sie unbedingt meiden. Diese Drachen können ihre Körpertemperatur bewusst regeln und fahren sie im Notfall hoch oder runter, bis auf Eiseskälte, ohne dass sie selbst dabei unterkühlen oder Schaden nehmen. Er ist der schnellste und geschickteste Flieger von allen Drachen und ein brillanter Jäger.“ Sie hat sich umgedreht und mich angeschaut, deswegen merkt sie gar nicht, was hinter ihr los ist, bis ich sie darauf hinweise.
„Ähm, Nju“, hauche ihr so leise wie möglich zu und zeige hinter sie. „Dreh dich um, aber erschreck dich nicht. Da steht der Drache von eben, hinter dir.“ Langsam dreht Njura erst ihren Kopf, dann den ganzen Körper. Das Schimmernde Eis, das eben noch über uns auf einem Vorsprung hockte, steht nun vor uns und schaut meiner Schwester in die Augen, als hätten sie eine Art Verbindung. Eine kleine Weile passiert nichts, aber dann streckt Njura die Hand aus und scheint ihre Augen zu schließen. Ist sie denn verrückt? Was ist, wenn sie angegriffen wird?
„Njura“, zische ich ihr leise zu, aber sie hört nicht. Das darf doch nicht wahr sein. „Njura, lass das. Das ist die Schlimmste der Bestien.“ Aber sie hört immer noch nicht auf mich. Langsam, fast wie in Zeitlupe, nähert sich ihre Hand der Schnauze des Drachen. Bevor Njura was passiert, schreie ich einmal laut „Nein!“ und der Drache zuckt zurück und verschwindet. Njura schaut dem Drachen nach und sieht mich danach mit traurigen Augen an. „Wieso hast du ihn verscheucht? Da war… irgendeine Verbindung zwischen uns, das hab ich gespürt.“ Sie sagt nichts weiter, scheint aber auch nicht wütend auf mich zu sein. Kurz darauf löschen wir das Feuer und schleichen zurück ins Zimmer. Sofort springen wir wieder ins Bett. Dort spüre ich seltsamerweise einen frischen Hauch im Genick.
Ich öffne meine Augen und spüre Windreiters Atem im Genick. Er hat mich also geweckt. Ich muss lächeln, trotz der Situation, denn der Drache von damals ist jetzt Njuras beste Freundin. Windreiter stupst mich an und schaut mir einen Moment in die Augen, dann in den Himmel. Er hat etwas gespürt und das ist wahrscheinlich nichts Gutes, wenn er mich deswegen weckt. Wahrscheinlich kommt eine Gefahr auf uns zu. Wenn ich daran denke, dass wir hier auf Berk sind, einer Insel voller Drachentöter, ist es logisch, zu denken, dass die Berkianer unsere Drachen gesehen haben und zu uns kommen, um sie zu töten. Njura ist immer noch bewusstlos und es versteht sich von selbst, dass ich sie beschütze.
Polarlicht legt ihren Schwanz um Njura und senkt ihren Flügel, sodass der Njura komplett verdeckt und somit vor Blicken schützt. Sie wird meine Schwester um jeden Preis beschützen, das weiß ich. Ich stehe auf und suche mein Schwert aus Windreiters Satteltasche. Der stellt sich vor Polarlicht und breitet drohend seine Flügel aus. Ich stehe mit gezücktem Schwert an seiner Flanke und gemeinsam suchen wir den Himmel ab, bis wir von links fünf fliegende Schatten auf uns zukommen sehen.


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drachenstarke Abenteuer Kapitel 4

Warum Kai den Muffin stahl

Drachenstarke Abenteuer Kapitel 2