Der Ofen

Der Winter im Sauerland kann sehr kalt werden. Er verwandelt Bäume in glitzernde Fabelwesen, lässt die Schritte so schön knirschen, macht Straßen spiegelglatt und die Notaufnahme des Kreiskrankenhauses proppenvoll. In der Regel steigen gerade dann die Heizölpreise in astronomische Höhen. Als wir uns wieder einmal darüber ärgerten, wie teuer doch ein warmes Wohnzimmer ist und den wie vielten goldenen Rolls Royce sich der Scheich aus dem Morgenland für seinen Harem gerade angeschafft hat, beschloss mein sparsamer Vater dem ein für alle Mal ein Riegel vorzuschieben. Wir entdeckten Opas alten Ofen neu! Er war eigentlich immer da, wurde aber nie genutzt. Nach Meinung der kleineren Kinder, lebten wir ja schließlich nicht mehr im Mittelalter. So wurde das Monstrum abgestaubt und je nach Jahreszeit hübsch dekoriert. Unvergessen sind die Zeiten, als Opa das gute Stück in einen Hochofen verwandelte, der der Firma Krupp alle Ehre gemacht hätte. In unserer Erinnerung lief Opa Sommer wie Winter im Unterhemd herum. In seiner linken Hand ständig ein buntes Frotteehandtuch, um sich den Schweiß abzuwischen. Wir haben ihm damals geraten, Kakteen oder noch schöner Orchideen zu züchten.
Nun stand wieder ein Winter vor der Tür. Jetzt sollte der Ofen das tun wofür er bestimmt war. Für Wärme sorgen. Doch bevor es richtig losgehen konnte musste man erstmal Heizmaterial beschafft werden. Papa und Onkel ziehen als Holzfäller verkleidet in den Wald. Die Kleinen finden das so romantisch das sie mitgehen wollen um mal in aller Ruhe Hänsel und Gretel nach zu spielen. Das Ganze artet wie üblich in Streitereien aus, weil sie sich nicht über die Rollenverteilung einig werden und ihren Vätern ganz gewaltig auf den Nerv gehen.
Nach zähen Verhandelungen mit dem Revierförster, landet schließlich bildschönes Buchenholz in unserem Garten. Leider hat uns niemand gesagt, das dass Holz mindestens 2 Jahre lagern muss um nicht ausschließlich zu stinken und zu qualmen. Wir müssen also noch mal tief in die Tasche greifen und fertiges Holz kommen lassen. Jetzt kann es losgehen! Wir haben vorsorglich die Kinder evakuiert eine Standleitung zur Feuerwehr geschaltet und die unmittelbaren Nachbarn gewarnt. Aber alles klappt! Bald knistert ein munteres Feuerchen. Nach und nach wird der Raum wärmer, Strickjacken und Pullover werden überflüssig. Nur Papa mit chronisch niedrigem Blutdruck friert. Er friert eigentlich ständig. Selbst im Hochsommer, wenn die Kinder kreischend ins Planschbecken springen und meine Ma und Tante im Badeanzug Pina Colada schlürfen sitzt er im Norwegerpullover missmutig auf seinem Gartenstuhl und zittert leise vor sich hin. Man kann sich ausmalen wie er auf -10 Grad reagiert. Der Ofen wurde geheizt bis unser Wohnzimmer konstant +30 Grad hatte. Anfangs haben wir noch versucht unserem Ernährer auf diskrete Art und Weise klar zu machen das es bei uns etwas zu warm ist. Ich habe zum Beispiel ein Strandidyll geschaffen. Ein bisschen Sand aus der Buddelkiste einen Sonnenschirm samt Liegestuhl und als Hintergrundmusik "Sunshine Reggae". Ich in Badehose mit Sonnenhut, Papa hat diese Aktion leider völlig falsch verstanden. Er sah es als Anspielung darauf das wir uns in diesem ( und auch in den nächsten 20 Jahren) keinen Hawaii Urlaub leisten können. Kurz er war beleidigt und warf noch schnell einen Scheit in die Glut.
Wir gewöhnen uns daran, leicht bekleidet durch das Haus zu laufen. Das wurde immer nur dann kompliziert, wenn es unverhofft an der Tür klopfte und wir uns blitzschnell etwas überwerfen mussten. Papa verstand unseren Unmut nicht und meinte im trauten Familienkreis (wir saßen barfuss auf Strandtüchern und fächerten uns gegenseitig Luft zu) bei Mama wäre diese Reaktion noch erklärbar, da sie im Klimakterium wäre und Schweißausbrüche an der Tagesordnung wären. Mein kleiner Cousin verkündete anderntags im Dorf: " Tante Ulrike ist im Krematorium!" Betroffene Nachbarn sprechen meiner Familie ihr Beileid aus. Die Wende kam, als meine kleine Schwester in der Schule die Kolonialzeit durchnahm. Sie fragte nach Indien, wollte wissen wer Gandhi war und warum die Engländer den Subkontinent schließlich doch wieder verlassen haben. Ich konnte ihr alles anschaulich erklären. Ich sagte ihr, in Indien herrscht immer ein subtropisches Klima. Ungefähr wie bei uns im Wohnzimmer. Gandhi war ein netter Herr, der nur ein Tuch um die Lenden und eine Brille trug. Also so aussah wie ich, ihr Bruder. Und die Engländer haben die Reise zurück auf ihre wohltemperierte Insel nur angetreten weil sie es einfach nicht mehr ausgehalten haben.
Deswegen muss auch ich mich jetzt beeilen um pünktlich ins Nachbardorf zu kommen. Der Metzger dort hat Mitleid mit uns. Er lässt uns mittwochs immer für ein Stündchen in sein Kühlhaus!

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